Erfahrungsbericht: Wochenlang forschen auf den Weltmeeren – wie kommt man eigentlich dazu?

Geschrieben am 09.08.2024
von Lina Adomaityte


Ich bin promovierte Ozeanografin – darunter kannst du dir wahrscheinlich wenig vorstellen. Im letzten Jahr meines Studiums (BSc Earth and Space Sciences, zu Deutsch: Geo- und Weltraumwissenschaften) ergab sich durch gute akademische Leistungen und zugegebenermaßen einen glücklichen Zufall die Gelegenheit, an einer 40-tägigen ozeanografischen Forschungsexpedition an Bord der FS Meteor in den Südost-Atlantik teilzunehmen. Was macht man da? Das wusste ich auch nicht. Doch bereits nach den ersten Tagen harter Nachtschichten, 10.000 Litern gefiltertem Meerwasser und ohne Land in Sicht, dafür aber mit einer fantastischen Crew, wurde mir klar – das ist das Leben, das ich will! Hier möchte ich Karriere machen!

Noch an Bord schrieb ich meine Bewerbung für eine Promotionsstelle am National Oceanography Centre in Southampton, England. Nachdem wir in Namibia wieder an Land gingen, ging es gefühlt Schlag auf Schlag. Ich, die ich im eher unspektakulären, im Landesinneren liegenden Krefeld nie etwas mit dem Meer, dem Ozean oder sonstigen Abenteuern am Hut hatte, wurde tatsächlich zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen – und es war erfolgreich. So begann meine ganz eigene Expedition in der ozeanografischen Forschung.



Aber erst mal zurück auf Anfang: Was bedeutet eigentlich promovieren und wieso im Ausland?


Promovieren – laut Wikipedia – bedeutet, einen Doktortitel zu erwerben, indem man durch eigenständige Forschung einen wissenschaftlichen Beitrag leistet. Das ist eine gute Basisdefinition, jedoch geht die Promotion meines Erachtens viel weiter. Man wird nicht nur Expertin oder Experte für ein bestimmtes Thema, sondern etabliert sich auch im wissenschaftlichen Netzwerk. Durch Kooperationen wird die eigene Forschung verbessert und bedeutender.

Während der Promotion lernt man sehr viel über seine eigenen Stärken und Schwächen: Bin ich gut im Small Talk? Wie kommuniziere ich mein Anliegen? Wie präsentiere ich hochkomplexe Ergebnisse vor verschiedenen Zielgruppen? Wie erkläre ich meinem Kumpel von nebenan, dass meine Ergebnisse zu den Zyklen der Eisenisotope in der Durchmischungsschicht des subtropischen Wirbels auch wichtig für ihn sind, weil sie mit dem Kohlenstoffdioxidaustrag aus der Atmosphäre und somit unserem Klima zusammenhängen?

Gerade in England wird viel Wert auf diese „Soft Skills“ gelegt, die zur erfolgreichen Verleihung des Doktortitels neben dem wissenschaftlichen Beitrag demonstriert werden müssen. Der Nachweis des wissenschaftlichen Beitrags erfolgt übrigens durch das Publizieren von Artikeln in Fachzeitschriften. Während der Promotion hat man im Schnitt drei zusammenhängende Themen, für die man Experimente durchführt, um Hypothesen zu prüfen. Dieser Prozess kann sich über Monate bis Jahre ziehen und ist nicht immer erfolgreich. Durchhaltevermögen ist da noch so ein Soft Skill … Liegen die Ergebnisse vor, fasst man sie auf 5–15 Seiten zusammen und sendet sie an ein Fachjournal. Nach der Prüfung und Anpassung durch andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wird der Artikel veröffentlicht.

Mir hat der holistische englische Ansatz sehr gefallen. In England hatte ich vier Jahre Zeit für meine Promotion und wurde mit einem Stipendium von etwa 14.000 €/Jahr unterstützt. Ich konnte Vollzeit an meiner eigenen Forschung arbeiten und hatte ein großzügiges Budget für Konferenzteilnahmen auf der ganzen Welt. Während meiner Forschungszeit war ich in Portland, Boston, San Diego, Hawaii, auf Teneriffa, in der Karibik, in Namibia und an vielen anderen Orten.

In Deutschland sind Promotionen oft länger und man arbeitet neben den Promotionsprojekten auch an anderen Projekten der Forschungsgruppe. In den USA ist das System wiederum anders. Alle Systeme haben ihre Vor- und Nachteile. Es ist wichtig, sich dessen bewusst zu sein und die Promotionsstelle entsprechend auszuwählen, wenn man das Ausland in Betracht zieht. Ich bin eher zufällig in meine Promotion hineingestolpert und habe die Unterschiede erst danach kennengelernt.

Nichtsdestotrotz würde ich alles immer wieder so machen. Eine Promotion ist hart, fordernd und oft frustrierend, aber sie schweißt zusammen. Die anderen Doktorandinnen und Doktoranden, die ich in England kennengelernt habe, sind bis heute meine besten Freundinnen und Freunde. Obwohl ich nach meiner Promotion für eine Forschungsstelle (Postdoc) nach Seattle (USA) umgezogen bin und viele meiner damaligen Kolleginnen und Kollegen weltweit verstreut leben, sehen wir uns immer noch regelmäßig.




Was macht man nach der Promotion?


Mittlerweile arbeite ich trotz der abenteuerlichen Expeditionen, meiner Liebe für den Ozean und dem inspirierenden wissenschaftlichen Umfeld nicht mehr in der klassischen Forschung an einer Institution. Hier würde man nach einigen Jahren als Postdoc eine Professur anstreben. Ich habe viele Freundinnen und Freunde, die mittlerweile auf so einem hohen Niveau forschend tätig sind. Ich habe mich stattdessen dagegen entschieden und leite nun ein Team aus wissenschaftlichen Referentinnen und Referenten in einem Start-up, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, Mikroplastik aus Gewässern zu entfernen. Das ist nicht nur mindestens genauso spannend, sondern lässt mich auch viele der Hard (z. B. Laborarbeit, Datenanalyse) und Soft Skills (z. B. Projektmanagement, Kommunikation, analytisches Denken), die ich erlernt habe, für einen sinnvollen Beitrag zum Schutz unserer Umwelt nutzen!

Ach ja … und die Ozeanografie ist übrigens die Wissenschaft der Physik, Chemie, Biologie und Geologie des Meeres.