Studiengang: Sprechwissenschaft



 … ist das sowas wie Logopädie?

Sprechwissenschaft ist viel mehr als nur Logopädie! Denn neben dem klinischen Bereich lernt man zum Beispiel rhetorische Modelle kennen, erarbeitet Texte aus dem Theater, übt das Unterrichten von Lehrern oder Schauspielern und untersucht die Merkmale der deutschen Aussprache…


Wie ich dazu kam…


Nach meinem Abitur war mir relativ schnell klar, dass ich nichts Naturwissenschaftliches studieren möchte. Auch Kunst und Musik lagen mir nicht sonderlich gut, aber machten wenigstens mehr Spaß. Sprachen waren das Einzige, was mich wirklich interessierte und besonders die Deutsche. Aber welche Richtung sollte ich mit diesem Interessensfeld einschlagen? Germanistik? Erschien mir zu trocken. Lehrerin? Dafür fehlt mir die Geduld. Logopädie? Gibt es zwar auch als Studiengang, aber da scheint man mit einer Ausbildung besser dran zu sein…
Und dann gab es da ja noch die anderen Dinge, die für mich in Frage kamen: Schauspiel, Theater, Psychologie… Aber welcher Studiengang sollte diese Teilgebiete vereinen?
Wie es manchmal so ist, geriet ich über drei Ecken an ein Universitätspraktikum bei der Sprechwissenschaft in meiner Heimatstadt Halle. Ich war sofort begeistert! Und ab da ging alles ganz schnell:
Ich hörte von der Eignungsprüfung, die immer schon im April stattfindet, auch wenn das Studium erst zum Wintersemester startet. Im Internet suchte ich nach Kliniken und HNO-Ärzten, die ein sogenanntes phoniatrisches Gutachten erstellen. Im Grunde soll dieses Gutachten bestätigen, dass man später einmal einen sprechintensiven Beruf ausüben können wird, ohne dass dabei Schädigungen an der Stimme auftreten (einige Lehramtsbewerber müssen das zum Beispiel auch machen).
Dieses Gutachten sendete ich an das Institut und bekam damit automatisch eine Einladung zur Eignungsprüfung (das Gutachten darf nicht älter als ein halbes Jahr sein).
Für die Prüfung „durfte“ ich ein Volkslied und ein Gedicht zwei unabhängigen Jurys aus Professoren und Mitarbeitern vortragen. Außerdem musste ich einen Rhythmus nachklatschen und einige Töne nachsingen. Ich war erstaunt, dass es so gut klappte, denn Musik hatte ich eigentlich in der zehnten Klasse abgewählt. Das schwierigste war für mich eine kleine spontane Rede zu der Frage, was ich von einer Helmpflicht für Fahrradfahrer halten würde. Da musste ich mich echt konzentrieren, die richtigen Argumente zu finden und nicht herum zu stottern. Mittlerweile glaube ich, die Jury hat dabei aber mehr auf meine Sprechweise geachtet (also zum Beispiel, ob ich einen Dialekt habe). Einige meiner Mitstudierenden hatten vor der Prüfung ein paar Logopädie-Stunden genommen, um daran zu arbeiten. Dann wartete ich fünf furchtbare Minuten auf dem Flur und als ich wieder rein durfte, sagten Sie mir: „Wir sehen uns im Oktober!“. Ich musste mich nur noch ganz normal immatrikulieren, da mein Abi-Durchschnitt unter dem NC von 2,3 lag (Die erreichten Punkte der Eignungsprüfung werden mit dem Abi-Durchschnitt verrechnet. Der NC ergibt sich natürlich jedes Jahr neu, aber er lag bisher nie unter 2,0).


Wie das Studium abläuft…


In den Einführungsveranstaltungen erklärte man uns: Das Studium teilt sich in die 4 Säulen Rhetorik, Phonetik, Sprechkunst und klinische Sprechwissenschaft auf. Wir lernen die Grundlagen dieser Säulen kennen und in allen Bereichen die Fähigkeiten, um auch selbst auf diesem Gebiet methodisch- didaktisch zu arbeiten. Dadurch können wir am Ende Rhetoriktrainer, Phonetiker, Sprechbildner für Schauspieler und Sprecher oder – wie ich es nenne- „studierte Logopäden“ werden.
Ich war erstaunt, als ich das Fach „Entspannung“ auf dem Stundenplan las. Aber im Laufe des Semesters lernte ich diese Veranstaltung zu lieben. Auch unseren Bewegungsunterricht, der oft anstrengend und anfangs auch etwas unbehaglich war: Denn dabei gab es viel Körperkontakt mit meinen Mitstudierenden und wir mussten einander vertrauen. Gut, dass wir nur 30 Leute pro Jahrgang sind und niemand von uns wirklich zurückhaltend ist. Auch Schüchternheit ist bei uns fehl am Platz: Im ersten Semester bestand eine Erwärmung aus dem Nachahmen von Tiergeräuschen und Bewegungen. Auch wenn das zunächst eher lustig klingt: Das Verbessern der eigenen Stimme, der Atmung und der Körperhaltung ist harte Arbeit und ließ mich schon oft an meine Grenzen gehen. Das große Highlight eines Semesters ist das Vorsprechen, bei dem wir einen fünfminütigen Text unserer Wahl auf einer Bühne vor all unseren Mitstudierenden und Profs vortragen dürfen. Ab dem zweiten Semester gibt es dafür auch eine Note.
Ansonsten sieht ein ganz normaler Tag bei mir so aus: Um 10 Uhr geht es in die Uni (wenn ich Glück mit den Einschreibungen hatte und mein Stundenplan daher gut geworden ist). Dann höre ich Vorlesungen mit viel PowerPoint-Untermalung oder wir gestalten unsere Seminare selbst, denn dafür gibt es auch meistens Noten. Im Interesse der Mitstudierenden wird das Ganze dann so aufbereitet, dass die erste Stunde Spaß macht und wie im Flug vergeht. Oder wir lösen Aufgaben und führen Dialoge, die dann zu einer „versteckten Erkenntnis“ führen. Auf all unsere Leistungen geben wir uns gegenseitig ein Feedback, was ich sehr schätzen gelernt habe. Dann geht es schnell in die Mensa und ab zum Bewegungsunterricht (vorher nicht zu viel mampfen!). Abends habe ich dann immer noch Zeit für meine eigenen Hobbies und auch über den Lernaufwand kann ich mich nicht beschweren. Die Bibliothek besuche ich meist nur kurz vor den Prüfungen regelmäßig.
Apropos Prüfungen: Im ersten Studienjahr hatten wir viele Theoretische. Besonders das Auswendiglernen aller Atemmuskeln war etwas mühselig, aber hat sich am Ende auch irgendwie gelohnt. Eine mündliche Prüfung ist auch immer dabei, aber die darf man zum Glück zu dritt durchstehen – so konnten wir uns schon oft bei einer schwierigen Frage gegenseitig rausboxen. Auch eine Hausarbeit und viele Vorträge durfte ich schon im Teamwork erledigen, was sich meiner Meinung nach in den Noten positiv bemerkbar macht.




Wie es danach weiter geht…


„Und was macht man später mal damit?“ Leider ist die Frage gleichwohl nervig als auch berechtigt. Auf unserer Homepage liest man dazu: ehemalige Absolventen und Absolventinnen seien heute in der Beratung, der Lehre oder dem Gesundheitswesen tätig. Als Ausbilder für sprechintensive Berufe oder als Kommunikationstrainer, auch als Therapeut von Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen kann man eine Anstellung finden. Für mich haben diese Begriffe erst so richtig Gestalt angenommen, als ich meine Pflichtpraktika absolviert hatte und einen wirklichen Einblick in die einzelnen Gebiete bekommen habe. Ich glaube, wenn man ein wirkliches Interesse für sein Teilgebiet mitbringt, kann man auch mit diesem ausgefallenen Studiengang einen guten (und auch gutbezahlten) Job finden. Die Master-Möglichkeiten scheinen auch erstmal etwas begrenzt zu sein. Es gibt drei sehr spezialisierte Mastermöglichkeiten in Stuttgart; den Master Sprecherziehung in Münster, Regensburg, Göttingen, Düsseldorf und den Master in Speech Science mit der Spezialisierung Sprechwissenschaft. Natürlich kann man auch in Halle den Master Sprechkunst/ Rhetorik/ Phonetik oder Klinische Sprechwissenschaft belegen. Alles in Allem macht mir mein Studium jeden Tag aufs Neue großen Spaß und daher bin ich auch bereit, in Zukunft einige Hürden zu nehmen, um bei meinem Traumjob zu landen.

– von Elisabeth Böhm, ASk e.V.



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