Gute Studien- und Berufsorientierung – wie geht das?

Geschrieben am 04.11.2020
von Pia Faustmann


Mit dem folgenden Artikel erfahren Mentorinnen und Mentoren wissenswertes über

  • den Ablauf der Berufswahl,
  • das Ziel von beruflicher Orientierung,
  • welche Kompetenzen Jugendliche zur erfolgreichen ersten Berufswahl brauchen,
  • und was Mentorinnen und Mentoren für ihre Regionalarbeit daraus lernen können.

 



 Was ist unter Berufswahl zu verstehen und wie läuft sie ab?


Junge Erwachsene auf dem Weg der beruflichen Orientierung zu begleiten, kann herausfordernd sein. Verschiedene Menschentypen benötigen unterschiedlichen Hilfestrategien und eine andere Art der Begleitung. Denn die Berufswahl läuft sehr individuell ab, in unterschiedlichen Phasen (bspw.  Einstimmen, Erkunden, Entscheiden, Erreichen [1]) und vor allem lebenslang. Das heißt, dass die Berufswahl nicht mit einer einmaligen Beratung, wie sie es bspw. in der klassischen Berufsberatung üblich ist, abgetan ist. Berufswahl ist eine natürliche Entwicklungsaufgabe, die jedoch auch äußeren Einflussfaktoren (wie der Angebotsnachfrage auf dem Arbeitsmarkt, Zugängen zu Studiengängen, aber auch familiären/gesellschaftlichen Einflüssen) unterworfen ist. Berufswahl ist demnach keine rein planbare und rationale Wahl, sondern auch ein Ergebnis eines komplexen und unvorhersehbaren Prozesses.

 



Bedeutung äußerer Einflussfaktoren


Ratsam ist es, die soeben genannten Erkenntnis zum Ablauf der Berufswahl mit Jugendlichen in informelle Einzel- oder Gruppengespräche über Berufswahl oder ähnliches einfließen zu lassen. Die Bedeutung äußerer Einflussfaktoren kann in Gesprächen reflektiert, ggf. sogar aufgebrochen werden. Zudem führt solch ein Gespräch auch dazu, dass Jugendliche, wenn einmal ein Plan nicht funktioniert, die Ursache nicht nur bei sich selbst suchen.

 



Selbstwirksamkeitserwartung fördern


Die Berufswahl erfolgt zudem danach, in welchen Bereichen sich Jugendliche ihre Fähigkeiten und Interessen zuschreiben. Die eigene Wahrnehmung von Fähigkeiten (Selbstwirksamkeitserwartung genannt) wird stark durch äußere Einflüsse, wie die positive oder negative Bestärkung von Lehrkräften oder Eltern, gesteuert: spricht eine Lehrkraft einem/einer Jugendlichen bspw. mathematische Fähigkeiten ab und äußert keine Zuversicht in eine Entwicklung, sinkt der Glaube in die eigene Fähigkeit und auch in das Interesse.

Nicht immer sind die Einschätzungen der Lehrkräfte korrekt. Deswegen lohnt es sich, mit Jugendlichen auch Interessensbereiche zu besprechen, die sie für sich zuerst ablehnen und ihre Gründe zu erfahren. Hierfür eignet sich die Veranstaltung „Über den Tellerrand“, die ein verpflichtender Bestandteil der Regionalarbeit im ersten Förderjahr ist.

 



Rollenzuschreibungen


Neben dem Einfluss von Lehrkräften auf die Selbstwirksamkeitserwartung haben auch geschlechterstereotype Rollenzuschreibungen einen starken Einfluss auf die Berufswahl. Frauen schreiben sich in der Regel geringere mathematische Fähigkeiten zu, obwohl keine schlechtere mathematische Veranlagung bei Frauen durch die Forschung nachweisbar ist [2]. Besonders in der Erziehung wird jedoch vorgelebt, dass Frauen weniger mathematische/naturwissenschaftliche Begabungen/Fähigkeiten haben. Ein Interesse in diesen Bereichen bildet sich daher häufig gar nicht aus.

 



Was ist das Ziel von beruflicher Orientierung und wie können Mentorinnen und Mentoren unterstützen?


Berufliche Orientierung ist „eine individuelle Lernleistung, die Lernort unabhängig erfolgt. Schule kann und muss eine wichtige Rolle spielen, dominiert aber nicht den Lernprozess“ [3]. Mentorinnen und Mentoren sollten Jugendlichen im Begleitprozess immer wieder verdeutlichen, dass bspw. auch Hobbys, Konflikte mit Freundinnen und Freunden oder in der Familie sogenannte Lernmomente sind, um Interessen und Fähigkeiten zu entdecken.

Berufliche Orientierung hat das Ziel, „Gelegenheiten zu bieten, individuelle Interessen und Fähigkeiten sowie berufliche Perspektiven zu erkunden und diese zu reflektieren“ [4]. Für Mentorinnen und Mentoren liegt eine besondere Aufgabe in der Begleitung der Reflektion von Erkenntnissen und Entscheidungen. Mit fragender, kritischer, aber auch bestärkender Haltung gegenüber Erzählungen der Jugendlichen leisten Mentorinnen und Mentoren einen Beitrag zur beruflichen Orientierung.

Viele Jugendliche sehen ihre Fähigkeiten vor allem auf Schulfächer beschränkt und vergessen, was sie neben der Schule alles noch erleben. Jugendliche dazu anzuregen, neben der Schule verschiedene Tätigkeiten wie Ehrenämter, Hobbys oder Freizeitaktivitäten auszuprobieren, erhöht die Dichte an Lernorten, in denen sie sich kennenlernen können. In Einzelgesprächen oder auch bei Aktivitäten mit der Studienkompass Gruppe ist es förderlich, Erkenntnisse über Studiengänge, Berufe etc., aber auch über die eigene Person als Lernerkenntnis zu loben und herauszuheben. Ziel ist es, dass Jugendliche selbst die Vielfalt an Aktivitäten außerhalb der Schule als Lernmöglichkeit zur erfolgreichen ersten Berufswahl ansehen.

Gute Studien- und Berufsorientierung endet zudem nicht mit dem Gedanken, dass für Jugendliche die berufliche Orientierung mit der ersten Wahl eines Studiums, einer Ausbildung endet, sondern Berufsorientierung als lebenslange Aufgabe anzuerkennen. In Gesprächen sollte vermittelt werden, dass die Jugendlichen bei der ersten Entscheidung viele Fähigkeiten erwerben, die die in ihrem Leben immer wieder brauchen werden (bei der ersten Jobwahl, bei Fort- und Weiterbildungen etc.).

 



Ziel „Berufswahlkompetenz“


Berufliche Orientierung zielt darauf ab, eben diese sogenannte Berufswahlkompetenz zu fördern. Berufswahlkompetenz ist „die Kompetenz einer Person, lebenslang ihre Berufsbiographie zu entwerfen, zu planen, zu gestalten und zu verantworten“ [4].

In welchen spezifischen Berufswahlkompetenzen Jugendliche fit gemacht werden sollten, zeigt das Thüringer Berufsorientierungsmodell, kurz „ThüBOM“. Laut des Modells [1] sollen Jugendliche für einen erfolgreichen Berufswahlprozess auf drei Ebenen gefördert werden:

  • sie brauchen spezifisches Wissen: Selbst, - Konzept-, Bedingungswissen, Planungs- und Entscheidungskompetenz
  • sie brauchen langfristige Motivation, wie bspw. Zuversicht, Eigenverantwortung und Offenheit
  • sie müssen lernen, aktiv zu handeln: Problemlösen, Stressmanagement, Selbststeuerung und Erkundungslust

Das Modell ist auch Teil des zweiten Studienkompass-Workshops, der vom Studienkompass zentral organisiert wird: die Jugendlichen sollen anhand des Modells den Berufswahlprozess selbst verstehen, um zu erkennen, was noch auf die zukommt und vor allem was sie bereits erreicht haben. Weiterer führende Informationen zu dem Modell können hier abgerufen werden.

 



Kompetenzen fördern – wie geht das?


Das Gute an Kompetenzen ist, dass sie erlern-, trainier- und veränderbar sind [5]. Sie bilden sich jedoch nicht durch Vorträge aus, sondern vielmehr durch aktive Erfahrung aus. Die Kompetenz, mit Herausforderungen umzugehen, bildet sich wahrscheinlicher bei einem Besuch eines Hochseilgartens aus als durch einen Vortrag über Herausforderungen. Bei einem Vortrag kann jedoch ein Bewusstsein über ein Thema geschaffen werden, aber eben keine Kompetenz. Damit Jugendliche von einer Kompetenz profitieren können, muss sie ihnen auch noch erkenntlich gemacht werden. D.h. sie müssen erkennen, dass sie eine bestimmte Kompetenz auch besitzen. Dies geschieht durch Reflexionen, indem Mentorinnen und Mentoren nach Aktivitäten wie Hochseilgärten bspw. fragen, wie sich mit ihrer Höhenangst umgegangen sind oder was sie über sich Neues gelernt haben. 

Für die Entwicklung von Berufswahlkompetenzen gilt:

  • Kompetenzentwicklung läuft bei jeder Person individuell ab.
  • Kompetenzentwicklung ist nicht geradlinig und nicht an ein Alter gebunden: Jugendliche sollen und brauchen sich nicht vergleichen, wie weit andere in ihrer Berufswahl sind. Es gibt hierfür keine Regel, wer wann wie weit sein muss!
  • Die Entwicklung kann auch zeitweise rückläufig sein: Es ist normal, wenn Jugendliche bei der Berufswahl „Rückschritte machen“.
  • Orientierungs- und Entscheidungsprozesse wiederholen sich im Leben immer wieder: Daher lohnt es sich mit Jugendlichen darüber zu sprechen, dass die meist als stressig empfundene Berufswahlzeit während des Abiturs eine Vorbereitung auf noch viele weitere Entscheidungen ist.

 



Was ist wichtig bei der Planung von SK-Regionaltreffen?


Folgende Kriterien solltet ihr bei euren Regionaltreffen beachten, wobei nicht immer alle Kriterien gleichermaßen erfüllt/ mitgedacht werden müssen:

  •  Motivationsförderlich
  • Förderung des Wissens über die eigene Person
  • Förderung des Wissens über berufliche Perspektiven
  • Anleitung zur Selbststeuerung (bspw. durch Fragen stellen), weniger/keine Vorgabe von Ideen und Anweisungen     
  • Stereotypisches Berufswahlverhalten reflektierend (bspw. Geschlecht)
  • Selbstwirksamkeit fördernd (positive Unterstützung, Feedback gebend)
  • Kompetenzorientiert (nicht nur Vorträge, sondern auch eigene Erfahrungen machen lassen)
  • auf individuelle Stände der Berufswahl eingehen (bspw. durch telefonische 1:1 Nachbereitung eines Treffens)

 



[1] Vgl. Driesel-Lange, Katja; Hany, Ernst; Kracke, Bärbel; Schindler, Nicola (2010): Berufs-und Studienorientierung Erfolgreich zur Berufswahl. Ein Orientierungs-und Handlungsmodell für Thüringer Schulen. In: Thüringer Institut für Lehrerfortbildung (Hg.). Bad Berka: ThILLM (Materialen Nr. 165), S. 11.
[2] Vgl. Makarova, Elena; Herzog, Walter (2013): Geschlechtersegregation bei der Berufs- und Studienwahl von Jugendlichen. In: Tim Brüggemann und Sylvia Rahn (Hg.): Berufsorientierung. Ein Lehr-und Arbeitsbuch. Münster: Waxmann, 177.
[3] Butz, Bert (2008): Grundlegende Qualitätsmerkmale einer ganzheitlichen Berufsorientierung. In: Gerd E. Famulla (Hg.): Berufsorientierung als Prozess. Persönlichkeit fördern, Schule entwickeln, Übergang sichern. Ergebnisse aus dem Programm „Schule –Wirtschaft /Arbeitsleben“. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, S. 42–62, S. 50.
[4] Driesel-Lange, Katja; Hany, Ernst; Kracke, Bärbel; Schindler, Nicola (2011): Konzepte und Qualitätsmerkmale schulischer Berufsorientierung an allgemein bildenden Schulen. In: Die Deutsche Schule 103 (4), S. 312-325.
[5] Vgl. Klieme, Eckhard; Leutner, Detlev (2006): Kompetenzmodelle zur Erfassung individueller Lernergebnisse und zur Bilanzierung von Bildungsprozessen. Beschreibung eines neu einge-richteten Schwerpunktprogramms der DFG. In: Zeitschrift für Pädagogik (52), S. 876-903, S.  880.